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Neuer Ansatz bei der Wechsellastprüfung von Hochleistungskunststoffen

Werkstoffprüfung über die DIN hinaus

Servopneumatische Prüfmaschinen bewähren sich bei Evonik Industries

Hersteller und Anwender von Hochleistungskunststoffen müssen schon im Vorfeld einer Produkteinführung genau wissen, was die Produkte leisten. In der Konsequenz verfügt Evonik Industries über einen großen Forschungs- und Entwicklungsbereich "Innovation Management" mit einer beachtlichen anwendungstechnischen Abteilung. Mit dem Blick auf neue Anwendungen hat Evonik die mechanische Prüfung der Werkstoffe mit servopneumatischen Prüfmaschinen ausgebaut und prüft jetzt mit Methoden, die weit über die DIN hinausgehen.

Die Business-Line "High Performance Polymers" der Evonik Industries stellt Hochleistungskunststoffe her, die unterschiedlichsten Beanspruchungen standhalten müssen. Je mehr die Motorräume von Fahrzeugen gekapselt werden, um so mehr müssen Bauteile für Motoren und Getriebe hochtemperaturbeständig sein. Andere Komponenten wiederum benötigen gute mechanische Eigenschaften auch bei tiefen Temperaturen. Getriebe mit Kunststoff-Zahnrädern, die bei einer Temperatur von 180 °C arbeiten, sind im Laufe eines Fahrzeuglebens vielen Millionen Lastwechseln unterworfen.

Ein weiteres Beispiel für herausfordernde Anwendungen sind Kunststoffrohre für den Mitteldruckgasbereich, in denen heutzutage Drücke bis zu 16 bar herrschen. Viele Produkte von Evonik werden für sicherheitsrelevante Anwendungen verwendet, hier hängt die Sicherheit von Maschinen und Fahrzeugen von der Zuverlässigkeit kleiner Bauteile ab, die nur wenige Gramm wiegen. Der intensiven Prüfung der Werkstoffe kommt auch hier eine eminente Bedeutung zu.

Werkstoffprüfung gewinnt an Bedeutung

Evonik Industries stellt eine Vielzahl von Spezial-Polyamiden her, überwiegend Polyamid 12 und Polyamid 6/12, spezielle PEBA-Typen, neuerdings auch PEEK und PPA für Hochtemperaturanwendungen. Weiterhin sind PBT und PPE als Engineering-Kunststoffe sowie transparente, amorphe Polyamide Bestandteile des Lieferprogramms.

Innerhalb der Abteilung „Application Technology“ arbeitet die Gruppe „Polymer Testing“ vorwiegend unterstützend bei der Entwicklung neuer Materialien. Außerdem qualifiziert die Gruppe Werkstoffe für spezielle Anwendungen und prüft die Qualität der laufenden Produktion. Eine weitere Aufgabe ist, Daten an die CAE-Abteilung zu liefern, damit unter anderem Dauergebrauchssimulationen ausgeführt werden können. Alle Projekte stehen in direktem Bezug zur internen Entwicklung neuer Produkte oder speziellen Anforderungen der Kunden.

Neue Produkte … neue Methoden

In den Jahren 2004 und 2005 erweiterte Evonik High Performance Polymers, damals noch als Degussa AG, die Strategie hin zu neuen Anwendungen und Produkten. Im Rahmen der Erweiterung der Produktpalette zu Hochtemperaturprodukten – beispielsweise aus PPA und PEEK – hat Evonik analysiert, wie der Bereich „Prüftechnik“ ausgebaut werden muss, um die erweiterten Eigenschaften der neuen Produkte charakterisieren zu können. Ein wichtiger Bereich ist dabei das Wechsellastverhalten der Werkstoffe.

Im Zuge der Neuausrichtung hat Evonik zunächst die vorhandenen mechanischen Prüfmaschinen modernisiert. Bei der Modernisierung der Wechsellast-Prüfmaschinen wurde jedoch schnell klar, dass sie – obwohl sie Dauerschwingversuche nach DIN 50 100 und Wechselbiegeversuche nach DIN 53442 ausführen – dennoch die Anforderungen an die neuen Werkstoffe nicht abbilden konnten.

Die Bestimmung der Lastwechselzahl nach DIN allein reicht nicht aus, denn Schädigungen der Werkstoffe treten oft schon vor dem Bruch auf. Neue, über die DIN hinausgehende Methoden mussten entwickelt werden, um zuverlässige Aussagen über das Werkstoffverhalten zu erhalten. Insbesondere war es wichtig, Kraft, Weg und Temperatur während der gesamten Versuchsdauer durchgängig zu messen, um auch das Verhalten vor dem Bruch analysieren zu können.

Über die Norm hinaus

Aus diesem Grund entschied sich Evonik, in neue Prüfmaschinen zu investieren. Angestrebt war die Umsetzung der beiden Normen, jedoch mit einer modernen Steuerung und der zusätzlichen Möglichkeit, weitere Messwerte aufzunehmen.

Um Prüfzeiten abzukürzen, plante Evonik, eine Prüfmaschine zu beschaffen, in die fünf Prüfkörper zugleich eingespannt werden können. In dieser Maschine sollte neben dem Weg für jeden Prüfkörper zusätzlich einzeln die Kraft gemessen werden. Eine solche Maschine war auf dem Markt nicht verfügbar. Deshalb nahm Evonik Kontakt mit DYNA-MESS auf, die auf Prüfmaschinen für Sonderanwendungen spezialisiert ist.

Beide Unternehmen entwickelten den Prototypen gemeinsam, wobei Evonik die Bedürfnisse aus der Praxis einbrachte und DYNA-MESS seine Erfahrung mit servopneumatischen Prüfmaschinen beisteuerte. Auch nach der Inbetriebnahme führte DYNA-MESS Optimierungen, die sich aus dem Routinebetrieb ergaben, innerhalb weniger Tage aus. In der gemeinsamen Arbeit war es sehr vorteilhaft, die besonderen Anforderungen an die Maschinen in einer sehr frühen Phase des Projektes mit den Spezialisten von DYNA-MESS zu diskutieren. Auf diese Weise war die Erweiterung der mechanischen Prüfung eines der am schnellsten realisierten Projekte der Gruppe.

Neben der Messung von Kraft und Weg muss die selbstinduzierte Temperaturerhöhung der Prüfkörper während der Prüfung beachtet werden, sonst sind die Ergebnisse wertlos. Erfolgt die Prüfung beispielsweise über der Glasübergangstemperatur, während der Werkstoff später bei Temperaturen darunter verwendet wird, ist die Prüfung nicht anwendungsgerecht. Es gibt Materialien, deren Glasübergangstemperatur bei 40 °C liegt, eine Aufheizung auf 80 bis 90 °C kann daher zu vollkommen unrealistischen Ergebnissen führen.

Da die Temperatur der Prüfkörper eine entscheidende Rolle spielt, wurden beide Maschinen um eine berührungslose Temperaturmessung erweitert. Da die Prüfmaschine von DYNA-MESS eine Schnittstelle vorsieht, konnte der Sensor einfach in die Maschine eingebunden werden.

Ein wesentlicher Zusatznutzen der synchronen Prüfung mehrerer Prüflinge ist das schnelle Screening neuer Materialien: mit einem Versuch werden fünf Materialien miteinander verglichen. So kann bereits in einer frühen Phase der Produktentwicklung schnell eine Vorauswahl getroffen werden, indem Kandidaten, die für eine neue Anwendung offensichtlich nicht geeignet sind, aus einer größeren Gruppe aussortiert werden. Die Chemiker in der Produktentwicklung bekommen auf diese Weise schnell ein Gefühl für die Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Servopneumatik hat sich bewährt

Die Abteilung Anwendungstechnik betreibt zurzeit zwei Maschinen von DYNA-MESS:

  • eine Tischprüfmaschine TP 1 kN LCF mit 5-fach Prüfung für Biegelast ermöglicht außergewöhnlich große Biegewinkel bis +/- 20 Grad und kann auch für Versuche im Zugbereich verwendet werden.
  • eine Tischprüfmaschine TP 10 kN LCF wird für Zug-Schwell- oder Zug-Wechselversuche sowie Dauerschwingversuche eingesetzt, zum Beispiel für kohlefasergefülltes Material mit Kräften bis zu 2,5 kN,


Die 1 kN Maschine wird vorwiegend für Prüfungen mit hoher Anfangsspannung – das heißt mit großen Biegewinkeln – und vergleichsweise kurze Prüfdauern verwendet. Für die „Langläufer“, die bei Millionen Lastwechseln teilweise bis zu 21 Tagen bei einer Prüffrequenz von 5 Hz mit Biegewinkeln bis zu +/- 10 Grad getestet werden, sind weiterhin die bereits vorhandenen und modernisierten Maschinen im Einsatz.

Da Druckluft im Chemiewerk einfach verfügbar ist, fiel die Entscheidung sehr leicht, servopneumatische Systeme zu verwenden. Sie benötigen keinen Kompressor – ein wichtiges Kriterium auch in Bezug auf die Geräuschentwicklung. Darüber hinaus hat der vergleichsweise geringe apparative Aufwand der Prüfmaschinen das Budget erheblich entlastet.

Die DYNA-MESS Maschinen haben sich im Routinebetrieb bewährt, auch mit der Erfahrung eines Betriebsjahres würde Evonik heute keine Änderungen an den Systemen vornehmen. Die Prüfmaschinen erreichen in allen Messbereichen die von DYNA-MESS garantierte Genauigkeit und zeichnen sich durch Robustheit aus, Genauigkeit und Regelverhalten sind hervorragend. Die Maschinen werden regelmäßig vom DYNA-MESS Kundendienst überprüft und gewartet.

Die Maschinen werden seit 2009 für die Routineprüfung nach DIN 53 422und 50 100 verwendet, die Prüfung wird intern als Standardmethode angeboten. Die spätere Einsatztemperatur wird bei allen Prüfungen berücksichtigt: Sobald sich abzeichnet, dass die Temperatur der Prüflinge die spätere Einsatztemperatur überschreitet, brechen die Mitarbeiter die Prüfung ab und wiederholen sie mit verringerter Prüffrequenz.

Mit der weitergehenden Sensorik konnte Evonik neue Versagenskriterien definieren, die über die Norm hinausgehen: Neben dem vollen Versagen wird jetzt auch der Beginn des Versagens analysiert. So kann ermittelt werden, wie das Material sich verhält, bevor es zum Bruch kommt. Das Abfallen der Kraftkurve lässt schon vor dem Bruch auf innere Schädigungen schließen, die die Gebrauchsfähigkeit der Werkstoffe negativ beeinflussen – Versuche nach Norm hätten diese Effekte nicht gezeigt.

Evonik untersucht zurzeit, wie sich das Dauerlastverhalten bei verschiedenen Frequenzen und dementsprechend bei verschiedenen selbstinduzierten Temperaturen verhält und welche Temperaturabweichungen noch tolerierbar sind.

Mit den erweiterten Untersuchungsmethoden konnte festgestellt werden, dass erste Faser-Matrix-Schädigungen bei einigen Werkstoffen sehr früh auftreten, während sie sich bei anderen erst später bemerkbar machten und bei wiederum anderen abrupt entstehen.

Die Wöhlerkurve fasst die Einzelprüfungen mit verschiedenen Belastungen zusammen, jeder Punkt beschreibt den Bruch einer einzelnen Probe. Diese Kurve entspricht der Darstellung des Ergebnisses nach Norm. Im Messschrieb einer Einzelprüfung wird deutlich, dass der Prüfkörper zwar erst bei 520.000 Lastspielen bricht, dass aber bereits nach 400.000 Lastspielen Schädigungen auftreten.

Die Temperatur des Prüflings wird Regelgröße

Kürzlich hat Evonik eine Temperierkammer für die 10 kN-Maschine installiert, die Versuche bei Temperaturen zwischen -70 und + 220 °C ermöglicht, zum Beispiel zur Ermittlung des Verhaltens unter Wechsellast bei unterschiedlichen Temperaturen. Die Kammer ist auch für Hochtemperaturwerkstoffe wichtig, die zum Beispiel im Motorraum von Fahrzeugen verwendet werden.

Da die Materialtemperatur einen entscheidenden Einfluss auf das Wechsellastverhalten hat, arbeitet Evonik zurzeit an einem völlig neuen Verfahren: Die Prüffrequenz soll über die Temperatur geregelt werden. Sie ist wichtig, denn gerade bei Kunststoffen hat die Temperatur großen Einfluss. Bereits jetzt beobachten die Bediener den Prüfvorgang und stoppen die Tests beim Überschreiten vorgegebener Grenztemperaturen. Danach wird der Test bei geringerer Frequenz wiederholt. Dies bedeutet jedoch, dass die Bediener manuell eingreifen müssen.

Die automatische Steuerung der Frequenz wird sicherstellen, dass der Prüfling definitiv während der gesamten Versuchsdauer im richtigen Temperaturbereich bleibt. In Zukunft ist die Materialtemperatur also Regelgröße und nicht Abbruchkriterium.

Zusammenfassung

Evonik Industries prüft die Werkstoffeigenschaften der vom Unternehmen hergestellten Hochleistungskunststoffe mit servopneumatischen Prüfmaschinen. Dabei geht die Untersuchung weit über die Anforderungen der Normen für das Wechsellastverhalten hinaus: Das Verhalten der Werkstoffe vor dem Bruch, das die Normen nicht beschreiben, analysiert Evonik mit der durchgängigen Messung von Kraft und Weg. Um darüber hinaus kurze Prüfzeiten zu realisieren, hat DYNA-MESS eine Prüfmaschine gebaut, in die fünf Prüflinge gleichzeitig eingespannt werden können.

Außerdem wird die selbstinduzierte Erwärmung der Prüflinge gemessen und die Prüffrequenz entsprechend angepasst. So testet Evonik die Werkstoffe unter denjenigen Bedingungen, unter denen sie später verwendet werden. In Zukunft wird die automatische Steuerung der Frequenz sicherstellen, dass der Prüfling definitiv während der gesamten Versuchsdauer im richtigen Temperaturbereich bleibt – die Materialtemperatur ist dann Regelgröße und nicht Abbruchkriterium.

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